Jedenfalls titelt mein persönliches Leitmedium "Wie viel Mutter braucht das Kind?", und das muss ich selbstverständlich kommentieren!
In dem Artikel geht es natürlich um die Frage, ob man Kinder unter drei Jahren von anderen Personen als der Mutter (!) betreuen lassen darf, und entsprechend der bewussten geschlechtlichen Diskreminierung schon im Titel kommen zunächst die Kritiker zu Wort, z.B. die "Eva Herrmann der Linkspartei", die unsägliche Christa Müller, die eine Kita-Betreuung mit afrikanischer Genitalverstümmelung vergleicht, oder die nicht minder berüchtigte schwedische Bestsellerautorin Anna Wahlgren ("In der Kita regiert das Gesetz des Dschungels wo Schwächere keine Chance haben" bzw. "Kita-Kinder werden zu Aliens, die nicht wissen wo ihr Platz ist"), beide nur noch getoppt von der 82jährigen Kinderpsychotherapeutin Christa Meves, die aufgrund der "Ideologie der Entmutterung" und der "Dressur in Massenpflege" Heerscharen bindungsgestörter Kinder prophezeit, die unter "Schizophrenie, Panikattacken und Borderline-Syndrom" bis hin zu "Depression, Fettleibigkeit, Alkoholismus und Kriminalität" leiden werden.
Was ist nur los mit diesen Frauen? Ich denke, sie argumentieren vielfach aus ihrem persönlichen Hintergrund heraus, und kämpfen auch unbewusst gegen den Verlust der weiblichen Kinder-Kompetenz in der Gesellschaft - womit sie genau wieder den "neuen", engagierten Mann verhindern, den sich eigentlich alle wünschen.
Vor allem stehen sie aber einfach in einer langjährigen Tradition, die viel weiter zurückreicht als die Nazi-Zeit, die furchtbare schwarze Pädagogik der 20er Jahre (die unser aller Denken noch viel mehr belastet als uns lieb ist!) oder das kaiserzeitliche Biedermeier, wo die Rolle der Frau als Zierde am Herd erstmals mehrheitsfähig wurde.
Nein, schon vor 500 Jahren formulierte Martin Luther eine Berufung der Frau nicht mehr als "Jungfrau und Märtyrerin, sondern als Ehefrau und Mutter": "Die Frau gehört in das Haus wie ein Nagel in der Wand!". Der Philosoph Rousseau stellte einige Jahrhunderte später den eitlen Damen der höfischen Gesellschaft die neue, bürgerliche Idealmutter entgegen, die ihr Kind nicht zur Amme gab, sondern selber stillte. Und der eigentlich noch heute hochgeschätzte Pädagoge Pestalozzi schrieb, dass die Frau ausschließlich durch die Kinderbetreuung selig und vollendet werden könne.
Allein - sowohl die großen Denker wie auch die heutigen Kita-Kritik-Mamis sind Kinder ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft, und ein allgemeiner Anspruch der vertretenen Ideologie scheint mehr als fraglich, so auch der SPIEGEL-Artikel:
Viele Erziehungswissenschaftler sehen die Mutterfixierung in Deutschland vor allem als "westliche Mittelstandsphilosophie". Oder, wie der Amerikanische Gelehrte Jared Diamond spottet: "Wenn sich nur die Kinder gut entwickeln würden, die in den ersten Jahren an ihrer Mutter kleben, dann wären die Kinder der Hausfrauen in den reichen Industrienationen die ersten und einzigen normalen Menschen auf der Erde!"
Tatsächlich gibt es nicht das eine natürliche Muster, sondern höchst unterschiedliche: "Wenn man eine afrikanische Bäuerin, die acht Kinder geboren und davon zwei oder drei verloren hat, mit der deutschen Frau Doktor vergleicht, die mit 36 ihr erstes Kind bekommt - wie kann man dann annehmen, dass es nur ein Rezept für alle gibt? Was in einem Land adaptiv ist, gilt in einem anderne schon als pathologisch."
Dabei muss man gar nicht so weit weg nach anderen Modellen als dem Deutschen Weg suchen: Schon in Dänemark werden 87% der Ein- bis Zweijährigen außerfamiliär betreut, im Schnitt sieben Stunden täglich. Selbst der Sohn des Kronprinzenpaares geht seit dem Alter von 17 Monaten in eine öffentliche Kita! Deutsche Familien in Kopenhagen sind diesbezüglich oft zunächst skeptisch, merken aber dann dass sie bloß "mit ideologischen Ballast beladen waren" - nach kurzer Eingewöhnung würde die Männer das "Deutsche Modell des Alleinverdieners total stressen" (kann ich verstehen!)
Auch Remo Largo, Autor des Standardwerkes "Babyjahre", welches sich in jedem Kinderhaushalt findet, hält den Müttermythos der letzten 50 Jahre, welcher allein die sichere Bindung zur Mutter als entscheidende Basis für eine gesunde Entwicklung des Kindes sah, für "überholt".
Man sieht also nicht nur hier: die Fronten sind verhärtet. Zwischen meinen Nachbarn in Kreuzberg, die doch eher dem dänischen Modell zugeneigt sind, und denen in der Westdeutschen Provinz mit der Ideologie "Wer sie gleich wieder in Fremdeinrichtungen abschieben will, sollte vielleicht besser gar nicht erst Kinder bekommen!" verläuft ein tiefer Graben. Was tun?
Zum Glück ist meine Frau Wissenschaftlerin, und ich habe von ihr - unter vielem anderem - gelernt, nur an das zu glauben, was "in einer unabhängigen doppelblinden wissenschaftlichen Studie klar bewiesen wurde!" Diesbezüglich sieht es für die traditionellen Mutter-Mythos-Fans eher schlecht aus, denn in vielen großen und professionellen Langzeit-Studien wurde der Zusammenhang zwischen Kinderbetreuung und Kindesentwicklung ausgiebig untersucht. Das Ergebnis sollte eigentlich auch Eva Herrmann, Christa Müller und Co bekannt sein, spätestens jetzt wo es sogar der SPIEGEL veröffentlicht:
- Die wichtige Mutterrolle wird durch eine Kita-Betreuung nicht unterwandert, sondern ergänzt!
- Glücklichen und kompetent erzogenen Kindern schadet die Kita nicht!
- Kindern mit Entwicklungs- oder Erziehungs-Defiziten nutzt eine Kita-Betreuung!