Montag, 10. Dezember 2007

Kreuzberger Kiezspaziergang Teil 1

Heute schien die Sonne und das Wetter war mild, also auf zum

Kreuzberger Kiezspaziergang
Teil 1: Von der Waldemarbrücke bis zum Lausitzer Platz


(1)
Wir beginnen den Spaziergang an der Waldemarbrücke, auf der die Grenze zwischen den Berliner Bezirken Kreuzberg und Mitte verläuft. Nach Süden sieht man hier den Verlauf des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals in Richtung Oranienplatz und weiter zum Urbanhafen. Nach Westen sieht man zunächst eines der letzten Stücke unbebauten Mauerstreifens; weiter hinten erhebt sich die Konzernzentrale des Axel-Springer-Verlages (Adresse: Axel-Springer-Straße, Ecke Rudi-Dutschke-Straße), die der Verlagsgründer direkt an die Berliner Mauer gebaut hat um die DDR-Führung zu ärgern, sowie rechts davon die Reihe von Hochhäusern an der Leipziger Straße, die anschließend die DDR-Führung gebaut hat um Axel Springer zu ärgern ...





Wenden wir uns nun nach Norden so sehen wir im Vordergrund den zum Rosengarten umgestalteten Teil des Luisenstädtischen Kanals mit dem "Indischen Brunnen", im Hintergrund die katholische St. Michaels-Kirche, das Wahrzeichen der historischen Luisenstadt, mit dem nachts golden angestrahltem Erzengel Michael auf dem Dach, der dem Engelbecken vor der Kirche seinen Namen gab. Links daneben ragen die Schornsteine des Heizkraftwerkes an der Jannowitzbrücke in den Himmel.



Wir folgen nun dem Berliner Mauerweg nach Norden. Die Häuser am Leuschnerdamm standen direkt an der Berliner Mauer, deren Verlauf im Bürgersteig immer noch gut zu erkennen ist. Die Häuser an diesem Kreuzberger Straßenstück galten zu Mauerzeiten als Zufluchtsort für Kriminelle, da der Bürgersteig komplett auf DDR-Gebiet lag und nicht von West-Berliner Beamten betreten werden durfte!





(2)
Auch auf Höhe der Adalbertstraße (die weiter südlich am Kottbusser Tor unter dem berüchtigtem "Neuen Kreuzberger Zentrum" hindurchführt) ist der ehemalige Kanal wieder in seinen gartenbaulichen Zustand der 20er Jahre versetzt worden. Zuvor verlief hier 28 Jahre lang zwischen Engeldamm und Bethaniendamm der Todesstreifen der Berliner Mauer; das Foto mit der St.-Thomas-Kirche im Hintergrund ist weltbekannt.

Obwohl der Mauerfall nun schon 18 Jahre her ist kann man immer noch die ehemalige Randlage des Kreuzberger Bethaniendamms erkennen, z.B. durch so seltene Anreiner wie einen Kinder-Bauernhof, eine Wagenburg und Berlins einziges „Geçekondu“, das der Kreuzberger Türke Osman Kalin 1983 auf Ost-Berliner Gebiet direkt an die Mauer gebaut hatte, und das nun Bestandsschutz genießt.


Der ehem. Luisenstädtischer Kanal und ...


St. Thomas-Kirche heute


... und zu Mauerzeiten!


Wagenburg am Bethaniendamm


Berlins einziges „Geçekondu

(3)
Wir umrunden nun den nördlichen Teil der St.Thomas-Kirche und betreten den Mariannenplatz.

Der Mariannenplatz wurde, zusammen mit den anderen Kunstplätzen Moritzplatz, Oranienplatz und Heinrichplatz im Rahmen der
Separation des Köpenicker Feldes 1841-1846 angelegt. Die Plätze, Straßen und Kanäle des heutigen Kreuzbergs bilden ein städtebauliches Ensemble, welches sich insbesondere durch kilometerlange, auf einen Sakralbau hinlaufende Sichtachsen sowie eine Auflockerung der Bebauung durch Grünanlagen und Wasserwege auszeichnet.

An dieser historischen Stadtentwicklung waren die besten Stadt- und Landschaftsgestalter Preußens beteiligt, nämlich Johann Carl Ludwig Schmid, Karl Friedrich Schinkel, Peter Josef Lenné und James Hobrecht; 1842 wurde der Bebauungsplan für das Köpenicker Feld von Peter Josef Lenné verabschiedet; der historische Grundriss ist auch heute noch gut zu erkennen.


Zu Mauerzeiten erlangte der Mariannenplatz neue Berühmtheit durch den schon erwähnten "Rauch-Haus-Song" (Erste Zeile: "Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da") der Band Ton Steine Scherben und die dort thematisierte Besetzung des leerstehenden ehemaligen Krankenhauses Bethanien.

Auch viele der umliegenden Wohnhäuser wurden in den 70er Jahren besetzt, so dass das Viertel um den Mariannenplatz das Zentrum der deutschen Hausbesetzer-Bewegung wurde. Dies liegt vor allem in dem damaligen Plan begründet, die erhaltenen, aber sanierungsbedürftigen Altbauten abzureißen und durch moderne Wohnblocks zu ersetzen, wie es in vielen anderen Teilen Kreuzbergs auch getan wurde.

Heute ist der Kiez um den Mariannenplatz eine der ärmsten Gegenden des sowieso nicht besonders wohlhabenden Kreuzbergs. Er wird überwiegend von Migranten bewohnt und zählt zum Kreuzberger Klein-Istanbul. Die ehemals omnipräsente linke Szene muss man in diesem heute eher ruhigen Wohnviertel schon fast suchen, nur noch wenige Insignien (wie die vielen Grafittis oder ein "Gemischtwarenladen und Revolutionsbedarf") deuten auf ihre Existenz.


Der Mariannenplatz von Süden, geradeaus die St-Thomas-Kirche, links das Krankenhaus Bethanien


Das ehem. Krankenhaus Bethanien


Eines der letzten sichtbaren ehem. besetzten Häuser neben nicht verhindertem Neubau




Artefakte der Hausbesetzer-Szene

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Folgen wir nun der Waldemarstraße zwei Blocks nach Osten, so gelangen wir zum Lausitzer Platz. Ebenso wie der Mariannenplatz hat der Lausitzer Platz etwas ghettoartiges, da sich hier hauptsächlich Mitglieder einer bestimmten Subkultur aufhalten. Nur ist es diesmal nicht Klein-Istanbul, sondern eher Klein-Prenzlauer Berg, den hier trifft sich die deutsche Mittelschicht des nördlichen Kreuzbergs: Es gibt regelmäßig einen Öko-Markt, einen großen Spielplatz, leckeres selbstgemachtes Bio-Eis beim Eissalon und schicke Kinder-Utensilien bei Sönneken. Außerdem lockt der Szene-Italiener "Rocco und seine Brüder".

Südlich wird der Platz begrenzt von der Skalitzer Straße und der ältesten Berliner U-Bahnlinie U1, die durch Kreuzberg als Hochbahn fährt. Die Skalitzer Straße und die Hochbahn-Trasse verlaufen entlang der ehemaligen Berliner Stadtmauer, was immer noch an den Bahnhofsnamen Schlesisches Tor, Kottbusser Tor und Hallesches Tor erkennbar ist.


Der Lausitzer Platz im Dezember


Eissalon und Sönneken


Die Kreuzberger Mittelschicht unterwegs zum Öko-Markt

Südlicher Lausitzer Platz

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